Für unser 3-teiliges „KI Special“ sprach ich mit unserem renommierten Gastautor Prof. Dr. Kreutzer über den Stand und die Bedeutung von KI für Unternehmen und Gesellschaft. Wir freuen uns, Ihnen das Exklusiv-Interview mit vielen spannenden Insights aus der Forschung zu seinem neuen Buch „Künstliche Intelligenz verstehen“ zu präsentieren.
Im dritten und letzten Teil unseres KI-Specials schauen wir uns die Herausforderung für die Supply-Chain der Unternehmen an gehen der Frage nach, welche Auswirkung für die DNA von Marken zu erwarten sind.
DM: Was sind die kritischsten Herausforderungen für Unternehmen in Bezug auf die eigenen Wertschöpfungsketten?
RK: Im Hinblick auf die eigenen Wertschöpfungsketten ist Vernetzung „the name of the game“! Mit vor- und/oder nachgelagerten Partnern sind sogenannte Wertschöpfungssysteme aufzubauen. Durch einen besseren Informationsfluss zu den direkten und indirekten Lieferanten einerseits und zu den direkten und indirekten Kunden andererseits können wichtige Effizienzpotenziale in der Wertschöpfung gehoben und sogar ganz neue Geschäftsmodelle entwickelt werde. Zu denken ist hier an die schon angesprochene Predictive Maintenance, die zu einer umfassenden Zusammenarbeit zwischen Lieferanten und Nutzern führt.
Hierbei ist es wichtig, dass die alten Paradigmen der Zusammenarbeit überwunden werden, die bspw. eine wertschöpfende Zusammenarbeit mit Wettbewerbern häufig ausschloss. Dass Unternehmen hier inzwischen anders agieren und agieren müssen, zeigen bspw. die Kooperationen zwischen BMW und Daimler. Nicht nur beim Thema Carsharing arbeitet man jetzt im Joint Venture Share Now zusammen, sondern auch beim Thema autonomes Fahren. Nur gemeinsam lassen sich beim autonomen Fahren die enormen Investitionsbudgets stemmen.
Das neue Paradigma lautet deshalb: Lass uns mit den Partnern zusammenarbeiten, mit denen wir bestimmte Ziele leichter, schneller und kostengünstiger erreichen können als bisher – aus welchen Feldern diese Partner auch immer kommen mögen (gerne auch als dem Feld der Erzkonkurrenten oder von Start-ups).
DM: Sie sprechen in Ihrem Buch von einer KI-Journey für Unternehmen. Geht es hierbei um eine rein technologische Evaluation oder auch um Change-Prozesse, welche die Organisation betreffen? Gibt es hier schon Mensch-Maschine Konzepte für eine erfolgreiche und wertbasierte Zusammenarbeit?
RK: Die für (fast) jedes Unternehmen wichtige und unvermeidbare KI-Journey umfasst Technologie und Personal gleichermaßen. Schließlich erschließt sich das Potenzial einer neuen Technologie (noch) nicht von allein – es sind Menschen, die hier Hand anlegen müssen, um die Möglichkeiten neuer Technologien zu erkennen und diesen in (bestehende) Prozesse und Strukturen zu integrieren. Deshalb gilt: Die Akzeptanz der Künstlichen Intelligenz in Unternehmen gelingt nur über die Akzeptanz bei den betroffenen bzw. besser bei den beteiligten Mitarbeitern. Schließlich ist es deren Aufgabe, KI-gestützte Lösungen in innovative Produkte, Dienstleistungen und Prozesse zu integrieren. Hierfür ist ein umfassender Change-Prozess zu starten, der zunächst mit einer Aufklärung über die Möglichkeiten, Grenzen – und ja – auch die Gefahren der KI beginnt. Der unternehmensweite Aufbau einer KI-Kompetenz ist folglich unverzichtbar – und kann dann ggf. mit unserem Buch „Künstliche Intelligenz verstehen“ beginnen. Dann gilt es im Team interessierter Personen aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen herauszuarbeiten. Hierzu kann der in Abb. 3 gezeigte KI-Canvas beitragen.
Die nächsten Schritte heißen Implementierung, Implementierung, Implementierung. Es geht darum, Schritt für Schritt mit eigenen Fingerübungen zu starten, Erfolge und Mißerfolge zu meistern auf dem Weg, eine eigene KI-Kompetenz aufzubauen. Denn schon in wenigen Jahren werden die meisten Unternehmen beklagen, dass es an ausgebildeten KI-Fachleuten fehlt. Deshalb ist es zielführend, schon heute mit deren Qualifizierung im eigenen Unternehmen zu starten und Schritt für Schritt wertschöpfende Mensch-Maschine Konzepte zu entwickeln.
DM: Als Markenspezialist finde ich die Frage spannend, inwieweit sich KI auf die Marken-DNA und auf die Unternehmenskultur auswirkt. Gibt es dazu schon erste Erkenntnisse?
RK: KI ist ja zunächst „nur“ eine Technologie, die nicht automatisch auf die Marken-DNA wirkt. Erst die Erkennung und Ausschöpfung der KI-Potenziale in der Markenführung selbst können dann längerfristig auf die Marken-DNA wirken und diese weiterentwickeln. Ähnliches gilt für die Unternehmenskultur. Diese muss sich zunächst öffnen für neue Technologien, damit die KI nicht zum Angstgegner definiert, sondern als Chance für eine profitable Entwicklung des Unternehmens zu begreifen. Motto: „Technologie as a Friend!“ Von einer solchen emotionalen Bewertung sind wir in Deutschland leider meistens weit entfernt.
Im Positiven kann die KI dann dazu beitragen, die Customer-Experience zu verbessern. Wenn Voice-Search und Voice-Shopping (Conversational Commerce) über Alexa, Google Home & Co. zum Durchbruch kommen, wird man fragen, wieso man früher so mühsam über eine Tastatur Online-Bestellungen abwickeln musste. Hier wird die Bequemlichkeit ein wichtiger Antreiber hin zu Voice First oder sogar Voice Only werden.
Anders sieht es heute noch im Bereich der Online-Marken-Werbung aus, wenn diese automatisiert (meist noch ohne KI-Einbindung) ausgespielt wird (Stichwort Programmatic Advertising). Immer wieder finden sich dann Werbe-Banner von Procter & Gamble und anderen Unternehmen in Online-Umfeldern (bspw. bei Gewaltvideos oder auf links- oder rechtsradikalen Websites), wo die Markenverantwortlichen ihre Werbung nicht sehen wollen. Hier geht es um die Brand-Safety. Solche Fehlplatzierungen können die Marken-DNA nachhaltig gefährden. Deshalb muss man genau prüfen, welche Entscheidungen man zukünftig an die Black-Box KI übertragen möchte.
Eine große Herausforderung für den KI-Einsatz liegt darin, diese Black-Box transparenter zu machen. Diese Aufgabe hat auch einen Namen: Explainable AI (Artificial Intelligence). Die Nachfolgziehbarkeit der KI-basierten Lösungen ist auch eine Erfolgsvoraussetzung für die Akzeptanz von KI in Unternehmen. Schließlich möchte sich kaum einer blind irgendwelchen Algorithmen anvertrauen, die er oder sie nicht nachvollziehen kann (zumindest in groben Zügen).
DM: Abschlussfrage: Was kann der Mensch besser als die KI – jetzt und in Zukunft?
Fast bin ich geneigt zu sagen: Alles, was das Leben wirklich lebenswert macht!
Emotionale Nähe zu Menschen aufbauen, wertschätzende, liebevolle, gut reflektierte oder auch witzige Dialoge, auch einmal „unvernünftig“ sein und etwas ganz Verrücktes tun (und sei es ein Fallschirmsprung), sich an klassischer Musik erfreuen (bspw. an der „Ode an die Freude“), von einer Oper zu Tränen gerührt sein (gerne bei Tosca oder Tristan & Isolde), sich in ein gutes Buch versenken, singen, mit der Liebsten tanzen, lachen – leben!
Die Grundlage für dieses Interview bildet Prof. Kreutzers neues Buch „Künstliche Intelligenz verstehen“ (2019)